Stiftungswesen. Seit dem Hochmittelalter wurden essentielle karitative und kulturelle Aufgaben in Nürnberg, ebenso wie in vielen anderen europäischen Kommunen, nicht durch Behörden, sondern durch Stiftungen wahrgenommen. In der Regel handelt es sich um durch Testamente oder andere Willensverfügungen eingesetzte Körperschaften auf der Grundlage des Römischen Rechts. Diese genossen Schutz durch die geistliche bzw. weltliche Obrigkeit. Allerdings konnte diese auch z. T. gravierend in den Bestand, die Struktur und Zwecke der Stiftungen eingreifen. Deren Basis besteht aus einem bestimmten Kapital, dessen Erträge einem festgelegten Zweck zugute kommen sollten. Die Rendite erwächst teils aus Immobilien, teils aus Anleihen (Ewiggelder), die einen funktionierenden Finanzmarkt voraussetzen. Zur dauerhaften Erfüllung dieser Zwecke wurden entweder eigene Verwaltungsgremien eingesetzt wie bei der Mendelschen Zwölfbrüderhausstiftung bzw. bei der Münzerschen Kleiderstiftung, oder die Verwaltung des Stiftungsvermögens wurde Amtsträgern wie den Obersten Hauptleuten oder den Predigern an den vier Hauptkirchen oder in der Stadt bereits bestehenden Institutionen wie dem Vormundamt anvertraut. Patrizischen und anderen gut situierten Familien, städtischen und kirchlichen Amtsträgern sowie den angesehensten Handwerken in Nürnberg oblag die ‘Execution’ spezieller Stiftungen, insbesondere die Vergabe der Zinsen. Das Gesamtkapital, die Zwecke der Stiftungen sowie die Zusammensetzung der Verwaltungsorgane bilden einen hervorragenden Indikator für wirtschaftliche und soziale Entwicklungen der Stadt sowie für ihre materielle Kultur.
Da die Stiftungen im Mittelalter primär dem Seelenheil des Stifters und seiner Familie dienen sollten, kamen sie in erster Linie den Kirchen und ihrer Ausstattung zugute. Die zahlreichen Altarstiftungen dienten auch zur Sicherung des Unterhalts von Priestern usw. In vielen Fällen blieben die Namen der Stifter, die seit dem 14. Jh. z. B. auf Gemälden immer stärker hervortreten, dauerhaft mit den Kunstwerken verbunden, die sie in Auftrag gegeben hatten (z. B. Holzschuher-Kapelle, Annenkapelle, Krell-, Imhoff- und Tucheraltar). Zu den herausragenden sakralen Stiftungen zählt u. a das von Hans IV. Imhoff bei Adam Kraft in Auftrag gegebene Sakramentshaus in der Lorenzkirche . Als älteste Stiftungen sind die Spitäler (Hospitäler) zu bezeichnen: 1151 das Elisabeth-Hospital und das 1339 von dem Finanzfachmann Konrad Groß begründete Heilig-Geist-Spital, die primär für die Aufnahme von Kranken und Siechen bestimmt waren, außerdem die Siechkobel bzw. Leprosenhäuser.
In Nürnberg sind, bedingt durch rechtliche Einschränkungen, im Vergleich zu anderen Handelszentren, relativ wenige mittelalterliche Testamente bezeugt. Nahezu regelmäßig enthielten diese bis in das 18. Jh. neben der Nachlaßverteilung auch einen Passus, daß ein bestimmter Teil des Vermögens, der meist beim Losungamt hinterlegt wurde, den Armen zugewendet werden sollte. Diese kanalisierte Form der Armenunterstützung (Armenfürsorge, Bettel- und Armenwesen, Almosenwesen) sollte auch das unkontrollierte Betteln einschränken. Das Stadtregiment bemühte sich durch gesetzliche Regelungen, die Stiftungen, wenn nicht ganz der eigenen Verwaltung, so doch zumindest der eigenen Kontrolle unterzuordnen.
Oft ist nicht klar erkennbar, ob einzelne Einrichtungen wie z. B. das Alumneum an der Universität Altdorf stärker auf die Initiative von Privatpersonen zurückgehen und später mehr und mehr kommunale Verwaltung übergingen, oder ob primär kommunale Einrichtungen durch private Zuwendungen und kleinere Legate ein kontinuierliches Wachstum erfuhren. In den beiden Findelhäusern, 1364 für Mädchen (an der Sebaldkirche), 1368 auch für Knaben (an der Lorenzkirche), ist beispielhaft dokumentiert, in welchem Umfang Nürnberger Bürger durch ihre Beiträge den dauerhaften Unterhalt wohltätiger Einrichtungen ganz maßgeblich sicherstellten.
In der Reformation des Stadtrechts wurden auch die Stiftungen ausdrücklich berücksichtigt. Seit der Reformation ist ein deutlicher Wandel im Stiftungswesen erkennbar, der sich allerdings schon wesentlich früher abzeichnet. 1522 entschied sich der Rat in Nürnberg, unter Heranziehung der bisherigen Meßstiftungen einen Almosenkasten zu errichten, wodurch die bisherige heterogene Praxis der Zuwendungen an Arme und Bettler gestrafft und vereinheitlicht werden sollte. Daraus entstand das Almosenamt, das sich in ein Stadt- und ein Landalmosenamt differenzierte. Anstelle der bisherigen Altarstiftungen entwickelte sich außerdem, entsprechend mehrfachen Appellen Martin Luthers, die individuelle Ausbildung zu einem bevorzugten Gegenstand der Stiftungstätigkeit. Hatte schon der Ratsconsulent Konrad Konhofer 1445 eine Stiftung errichtet, damit je eine Theologe, ein Jurist und ein Mediziner an deutschen oder italienischen Hochschulen ausgebildet wurden, um anschließend in den Dienst der Stadt Nürnberg zu treten, so wurden seit 1524 zunehmend Legate für Schulen, Schüler und Studenten ausgewiesen. Bis zur Mitte des 17. Jh. ist hierbei ein stetiges Wachstum zu verzeichnen, das auch im 18. Jh. nur wenig nachließ. Die Lorenzer Armenkinderschule, die Sebalder oder Rößler’sche Armenschule, die Jakober oder Haller’sche Armenschule, die Wirth’sche Armenschule, die Lödel'sche Armenschule und die Praebes’sche Armenschule gehen auf private Stiftungen zurück. Sogar während des Dreißigjährigen Krieges entstanden in Nürnberg einige der reichsten Stiftungen von Einzelpersonen wie die der Elisabeth Krauß. In der Folgezeit können anhand der Stiftungen und ihrer Ausrichtung materielle wie mentale Transformationsprozesse in Nürnberg, insbesondere die nachlassende Wirtschaftskraft abgelesen werden.
Gegen Ende des 18. Jh. existierten allein ca. 150 Stipendienstiftungen, die jährlich insgesamt ca. 330 Legate, bevorzugt für Studenten der evangelischen Theologie ausgaben. Durch eine strenge Auswahl, die sich an Bedürftigkeit und Talent, aber auch stark an Patronage und sozialen Beziehungsgeflechten orientierte, rekrutierte sich die reichsstädtische Bildungselite. Die Stiftungen leisteten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur sozialen Disziplinierung wie zur konfessionellen Homogenität in Nürnberg. Die reichen Stiftungen fungierten in nicht geringem Umfang auch als Darlehensgeber für die Stadt, besonders das Losungamt, und für Privatpersonen.
Gegen Ende des 18. Jh. stellte Johann Christian Siebenkees, der die Nürnberger Stiftungen erstmals in einer nahezu vollständigen Übersicht zusammenstellte, die Hypothese auf, in keiner anderen Stadt Deutschlands gebe es so viele Stiftungen wie in Nürnberg. Dies Aussage ist wohl einem patriotischen Überschwang zuzuschreiben, denn in den meisten Städten und auch Dörfern des Alten Reichs ist eine erhebliche Zahl ähnlicher Stiftungen nachweisbar. Deren systematische und lückenlose Erschließung steht aber noch aus.
Besonders in den Rheinbundstaaten und somit auch in Nürnberg, das 1806 dem Königreich Bayern zugesprochen worden war, wurde eine rigorose Stiftungsreform durchgeführt. Erstmals wurden die bestehenden Stiftungen soweit möglich vollständig erfaßt und - mit erheblichen organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten - unter neu geschaffenen kgl. bayerischen Stiftungsadministrationen zentralisiert. Zugleich wurden die Stiftungen in erheblichem Umfang zur Finanzierung der bestehenden Schulden herangezogen. Kleinere Stiftungen wurden aufgelöst bzw. zusammengefaßt, Immobilien veräußert. Einen Sonderfall stellen die patrizischen Familienstiftungen und Fideikommisse dar. Zwar wurden die Stiftungen 1819 größtenteils wieder dem nach dem Gemeindeedikt geschaffenen Magistrat übertragen, doch nach der ‘Stiftungsreform’ gab es für langere Zeit keine Neugründungen. Die reichsstädtischen Stiftungen wurden großteils integriert in die Armenpflegestiftungen, den Armenschulstiftungsfonds, den Lokalstudienfonds, den Universitätsstipendienfonds und in die Kultusstiftungen. Erst seit der Mitte des 19. Jh., nicht zuletzt durch den Zuzug von Juden, wurde bis zum Ersten Weltkrieg wieder eine wachsende Zahl neuer Stiftungen für sehr heterogene Zwecke der Wohltätigkeit, des Unterrichts und Kultus gegründet.
Nach
einer amtlichen Statistik gab es in Nürnberg 1905 allein unter kommunaler
Verwaltung nahezu 200 Stiftungen mit einem Gesamtvermögen von ca.
20,7 Mio. Mark. Die Hyperinflation 1922/23 führte allerdings zu einem
einschneidenden, rapiden Kapitalverlust und zu einer weiteren Zäsur
für das Stiftungswesen in Nürnberg. Bereits 1928 wurde die Auflösung
bzw. Zusammenlegung zahlreicher Stiftungen diskutiert. Während des
Nationalsozialismus
kam
es zu gravierenden Eingriffen in die Substanz vieler Stiftungen. Die Gründung
der Hallerschen Forschungsstiftung
erscheint in diesem Rahmen als eher singuläre Erscheinung. War während
des Weltkriegs eine reguläre Erfüllung vieler Stiftungszwecke
kaum noch möglich, so wurde diese Entwicklung durch die Währungsreform
weiter verschärft, indem den bereits stark geschädigten Stiftungen
1948 ihre Kapitalbasis weitestgehend entzogen wurde. Aufgrund des bayerischen
Stiftungsgesetzes wurden weiteren Auflösungen und Zusammenlegungen
vollzogen. Auf Beschluß des
Stadtrats
entstanden bereits 1950/52 die heute bestehenden Vereinigten Wohltätigkeitsstiftungen,
die Vereinigten Lokalstudienstiftungen sowie die Vereinigten Stiftungen
für Bildung und Unterricht. Mit der prosperierenden wirtschaftlichen
Entwicklung in der Bundesrepublik entstanden auch in Nürnberg wieder
neue Stiftungen wie die von Gustav
Schickedanz, Theo
und Friedl Schöller sowie verschiedene Stiftungen der Stadtsparkasse
Nürnberg. Nach der vom Bayerischen Landesamt für Statistik
und Datenverarbeitung erstellten Übersicht haben augenblicklich 56
rechtsfähige öffentliche Stiftungen ihren Sitz in Nürnberg;
hinzu kommen noch 26 Familienstiftungen, die teilweise bis in das 16. Jh.
zurückreichen, sowie mehrere kirchliche Stiftungen. Der Stadtkämmerei
bzw. der Stiftungsverwaltung der Stadt Nürnberg unterstanden 1997
zwölf rechtsfähige Stiftungen (u. a. die Heilig-Geist-Spital-Stiftung,
die Findel- und Waisenhausstiftungen, die Stiftung Lokalstudienfonds, die
Stiftung für Bildung und Unterricht, die Sigmund-Schuckert-Stiftung,
die Friedrich Freiherr von Haller’sche Forschungsstiftung, die Stiftung
zur Förderung der 6. Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg
und die Heinrich-Gröschel Stiftung) sowie neun nichtrechtsfähige
Stiftungen (u. a. die Heinrich und Amalie Lang-Stiftung, die Eberhard und
Fanny Ermann’sche Stiftung, die Otto-Lauterbach-Stiftung, die Marle-Hack-Stiftung,
die Fritz und Eugenie Übelhör-Stiftung, die Andreas Winterbauer-Stiftung,
die Kunst- und Kulturstiftung Dr. J[oseph]
E. Drexel, die Andreas-Staudt-Stiftung und Dr. Ing. Eduard-Kurz-Stiftung).
Das gesamte Vermögen dieser von der Stadt verwalteten Stiftungen betrug
Ende 1997 mehr als 100 Mio. DM. An Bedürftige, für Stipendien
und an verschiedene Institutionen wurden in demselben Jahr allein durch
die städtischen Stiftungen 3,57 Mio. DM ausgegeben. Im Vergleich mit
den kommunalen und staatlichen Aufwendungen für soziale und kulturelle
Aufgaben könnte dieser Betrag gering erscheinen, aber er stellt für
das soziale und kulturelle Leben einen Faktor dar, der nicht unterschätzt
werden sollte und in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Zu den wenigen
im Stadtbild auffälligen Zeugnissen des reichen und differenzierten
Stiftungswesens zählen bis heute v. a. die Gebäude des Heilig-Geist-Spitals.
Charakteristisch für Nürnberg war über Jahrhunderte eine
sehr breite und kontinuierliche Beteiligung der Bürgerschaft am Stiftungswesen.
Qu
Stadtarchiv Nürnberg
Rep. D 15,
D 16, D 20, D 22; Die Schulen in Nürnberg mit besonderer Berücksichtigung
des städt. Schulwesens, hg. v. Stadtmagistrat Nürnberg, Nürnberg
1906, S. 266-304; Alphabetisches Register zum Verzeichniß der unter
magistratischer Verwaltung stehenden Wohlthätigkeits-Stiftungen der
Stadt Nürnberg [1897]; Nachtrag I zum Verzeichnis der unter Verwaltung
des Stadtmagistrats Nürnberg stehenden Wohltätigkeits-Stiftungen
der Stadt Nbg.; Verzeichnis der rechtsfähigen öffentlichen Stiftungen
in Bayern. Stand: 31. Dezember 1991, zusammengestellt und hg. vom Bayerischen
Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung, München 1992;
- Mitt. v. Herrn Pleisteiner, Stiftungsverwaltung der Stadt Nürnberg.
L Johann Christian Siebenkees, Nachrichten von Armenstiftungen in Nürnberg, Nürnberg 1784; ders., Fortgesetzte Nachrichten von Armenstiftungen in Nürnberg, Nürnberg 1794; ders., Nachrichten von Nürnbergischen Stipendien, Nürnberg 1794; Ernst Mummenhoff, Das Findel- und Waisenhaus zu Nürnberg, orts-, kultur- u. wirtschaftsgeschichlich, in: MVGN 21, 1915, S. 57-336 u. ebd., 22, 1918, S. 3-146.; Peter Fries, Das Nürnberger Stiftungswesen vom Ende der reichsstädtischen Zeit bis zur Verwaltung der Stiftungen durch den Magistrat etwa 1795-1820, Diss. jur. Erlangen-Nürnberg 1963; Elisabeth Schraut, Stifterinnen und Künstlerinnen im mittelalterlichen Nürnberg. Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg in Verbindung mit der Stadtbibliothek Nürnberg (= Ausstellungskataloge des Stadtarchivs Nürnberg 1), Nürnberg 1987; Corine Schleif, Donatio et memoria. Stifter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg (= Kunstwissenschaftliche Studien 58), München 1990; Rudolf Endres, Armenstiftungen und Armenschulen in Nürnberg in der Frühneuzeit, in: Gerhard Rechter, Jürgen Schneider (Hg.), FS Alfred Wendehorst (= JffL 53), Neustadt/Aisch 1992, S. 55-64; Bernhard Ebneth, Stipendienstiftungen in Nürnberg (= Nürnberger Werkstücke 52), Nürnberg 1994; Michael Diefenbacher, Die Friedrich Freiherr von Hallersche Forschungsstiftung, in: MVGN 82, 1995, S. 329-352; Martial Staub, Memoria im Dienst von Gemeinwohl und Öffentlichkeit. Stiftungspraxis und kultureller Wandel in Nürnberg um 1500, in: Memoria als Kultur, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1995, S. 285-334; ders., Les fondations de services anniversaires à l’exemple de Saint-Laurent de Nuremberg: prèlévement pour les morts ou embellisement du culte?, in: La parocchia nel medio evo economia, cambi, solidarietà. Italia Sacra, Nr. 53, Rom 1995, S. 231-253; Frank Rexroth, Stiftungen und die Frühgeschichte von "Policey" in spätmittelalterlichen Städten, in: Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Michael Borgolte, Berlin 2000, S. 111-131.
Seite erstellt: 3. 11. 2004